Vielleicht haben Sie das auch schon erlebt. Sie sitzen in einer Angebotspräsentation für eine Projektumsetzung, und beiläufig fällt seitens des Anbieters die Bemerkung „den Aufwand für die Dokumentation können wir uns sparen, da wir ja agil vorgehen“.
Da ist er wieder, dieser weit verbreitete Irrglaube, dass agiles Projektmanagement grundsätzlich keine oder zumindest wenig Dokumentation bedeutet. Das stimmt ganz und gar nicht!
In vielen Wirtschaftsbereichen, die strengen Regularien und Auflagen unterliegen, wie z.B. der Finanzsektor, das Gesundheitswesen, die Behörden usw., ist der Verzicht auf eine Dokumentation völlig undenkbar. Das Gleiche gilt, wenn spezifische Kundenanforderungen oder interne Richtlinien zu befolgen sind.
Wie aber schafft man den Spagat zwischen der durch die Compliance bedingten Papierarbeit und der Implementierung der agilen Methoden ?
Mein „PMI – Kollege“ und Mitglied des Kernteam für die Erstellung des PMBOK® Guide Jesse Fewell hat im Juli diesen Jahres dazu die nachfolgenden praktischen Tipps veröffentlicht.
Kompromisse finden
Auf der einen Seite argumentieren Auditoren und Qualitätsmanager, dass Dokumente und Phase Gate Reviews (Anmerkung: zu bestimmten „Meilensteinen“) die einzige Möglichkeit darstellen, die Einhaltung von Regularien zu gewährleisten. Auf der anderen Seite sagen die Experten der agilen Vorgehensweise, dass Dokumente keinerlei Nutzen generieren. Beide irren, und es ist die Aufgabe des Projektmanagers, die extremen Positionen auszubalancieren und einen gesunden Mittelweg zu finden, bei dem beide Seiten Zugeständnisse machen, aber letztlich auch beide mit dem Ergebnis zufrieden sein können.
Frühe Einbindung
Binden Sie als Projektmanager die Auditoren und Qualitätsmanager aktiv und frühzeitig mit ein. Organisieren sie kurze und reguläre gemeinsame Meetings, in denen Sie alle Beteiligten auf einen gemeinsamen Wissensstand und Kurs bringen und bei dem Sie darstellen, was erreicht wurde und was noch zu tun ist. Vermeiden Sie umfangreiche Vollaudits, die auch die Zeit Ihrer Kollegen unnötig belasten, sondern demonstrieren Sie in den konzentrierten kleinen gemeinsamen Runden alternative Formen der Dokumentation. Weg von der traditionellen alles beschreibenden Dokumentation, hin zu einer aussagekräftigen und fokussierten „leichtgewichtigen Compliance“ mit z.B. Whiteboard Fotos.
Habe fertig
Eine der agilen Techniken ist es, den Begriff „fertig“ zu definieren. Dies hilft einerseits unnötige Arbeiten zu vermeiden, aber andererseits bereits vorbereitende Arbeiten für einen späteren, da passenden Zeitpunkt vorzubereiten.
Beispiel: Für die Definition eines hochwertigen Produktes existiert eine Definition von „fertig“ inForm einer simplen Checkliste, die alle Produkteigenschaften aufzeigt, die dieses Produkt benötigt, um „lieferbar/ nutzbar“ zu sein. In einer weiteren aufwendigeren Liste sind dann zu einem viel späteren Zeitpunkt alle Elemente und Arbeiten aufgenommen, die notwendig sind, damit man das Produkt an den Endkunden tatsächlich „liefern“ kann.
Überträgt man den Unterschied zwischen „lieferbar“ und „liefern“ auf die Dokumentation eines zu auditierenden Projektes, dann hilft eine Speicherung aller Artefakte, Expertenprüfungen und Kundenfeedbacks um die Liefergegenstände grundsätzlich zu umreißen (= simple Checkliste). Die aus diesem und auf Basis dieser Bestandteile zu erstellen auditfähige Dokumentationsunterlage entsteht zu einem späteren Zeitpunkt.
Die Compliance ist also projektbegleitend durchzuführen, damit nicht alle Arbeit am Ende anfällt. Der Trick dabei ist aber, die Dokumentationsvorbereitung auf das notwendige Maß zu reduzieren.
Was wäre wenn
Um das notwendige Minimum an Umfang und Art von Dokumentation heraus zu finden, spielen Sie Grenzsituationen durch.
Beispiel: Die Ankündigung eines Mitbewerbers zwingt Sie zu einem früheren Go-Live, bei dem Sie nur die absolut notwendigen Elemente eines Produktes fertig stellen und dies nur so rudimentär und ausreichend wie irgend möglich dokumentieren können.
Finden Sie für die Dokumentation heraus, was tatsächlich absolut dokumentationserforderlich ist und in welcher Form es dokumentiert werden kann. Wie können Ihnen dabei Kundendemos, Prototypen und frühere Previews behilflich sein / genutzt werden?
Fazit
Auch agil durchgeführte Projekte müssen dokumentiert werden. Jedes Projekt bietet das Potenzial, im Rahmen von Abstimmungen und Risikoabwägungen die richtige Balance zwischen agilem Vorgehen und vollumfänglicher Compliance zu finden.
Für das agile Projektmanagement gilt: so viel Dokumentation wie erforderlich, so wenig Dokumentation wie nötig.
Schreibe einen Kommentar